Das Liebesmahl

Humoreske von Teo von Torn.
in: „New Orleans Deutsche Zeitung” vom 16.02.1902


Die Treibjagd auf dem Pachtgelände des Pionierbataillons war zu Ende. Die Treiber hatten in seltsam vergnügter Stimmung die Strecke zusammengetragen, und die Jagdgenossen trafen allmählich auf dem Rendevousplatze ein, wo Förster Peetsch brummend und kopfschüttelnd die Bescheerung betrachtete.

Der alte Peetsch war der Hüter des angrenzenden Stadtwaldes. Freundlicherweise hatte er auch die Beaufsichtigung des Reviers der Garnison übernommen, und seit vielen Jahren fungirte er nach Gewohnheitsrecht als Master und Manager der Offiziersjagden. Kundige Thebaner behaupteten allerdings, daß das nicht nur Freundlichkeit, sondern in gewissem Sinne auch Berechnung war. Gotthold Peetsch wachte mit Argusaugen über seiner städtischen Jagd — und das konnte er am besten, wenn er auch die anderen Reviere beaufsichtigte. An dem ovalen Stammtisch im „Goldenen Hirsch” hatte er einmal mit einem listigen Zwinkern unter den buschigen, weißen Brauen erklärt: „In der Liebe und beim Waidwerk ist keinem Menschen zu trauen, auch nicht den Herren Offiziers.”

Andererseits empfand er es doch wieder als eine ihm persönlich angethane Unbill, wenn das Resultat einer der Jagden, welche die Offiziere der kleinen Garnison mehr aus Langeweile als aus Freude am edlen Gejaid veranstalteten, hinter seinen berechtigten Erwartungen zurückblieb.

Die Hände in seinem alten Fuchsmuff vergraben, die kurze Pfeife im linken Mundwinkel, stieß er dichte Wolken durch den über die Lippen hängenden, gelbgefleckten Schnurrbart und beäugte mit grimmigem Humor, was die Treiber zusammentrugen. Erst als die acht Jagdtheilnehmer, mit dem Major v. Kleffel an der Spitze, sich sämmtlich eingefunden hatten, nahm er die Pfeife aus dem Munde und erstattete dem Bataillons-Kommandeur den Streckenrapport — wie immer in einer Form, die das Entzücken der jüngeren Lieutenants bildete und den Herren ungleich mehr Spaß machte als die ganze Jagd.

Der Alte strich mit dem Mundstück seiner Pfeife den weißbunten Schnauzbart zwischen den Lippen hervor, räusperte sich, spie energisch aus und sprach also: „Herr Major, meine Herren — das war mal wieder unter allem Luder. Es sind von acht Mann, den Herrn Major mit einbegriffen, zur Strecke gebracht worden: neun Hasen, wovon fünf Karnickel sind; des Weiteren ein lahmer Fuchs, der nämliche, welchen Sie bereits auf der vorigen Jagd erlegt haben, aber nur scheintodt war und von der Strecke weg wieder auskniff. Ich habe mich überzeugt, daß der Rothe diesmal wirklich geblieben ist, dem Augenschein nach aber weniger von Ihren Schroten als aus Lebensüberdruß; des Weiteren vier Eichkatzen, zwei Krähen und — Donnerwetternocheinmal — hier fehlt doch etwas! Wo ist der Hannes Küstermann, den der Herr Major mit sechs Schroten am Spiegel getroffen?” fuhr er die Treiber an, welche in einiger Entfernung der Abholung harrten.

„De Hannes is bei'n Fisikus!” lautete die mehrstimmige Antwort.

„Ach so — na denn konnte er nicht hier zugelegt werden, meine Herren. Sie müssen sich also den Hannes Küstermann mit den sechs Schroten im Spiegel neben den beiden Krähen denken. Aber Alles, was recht ist, meine Herren — die Strecke wäre doch vielleicht weniger dürftig ausgefallen, wenn die Kälber und Ziegen in dieser Jahreszeit nicht auf Stallfütterung angewiesen wären. Damit wollen wir uns trösten, und in diesem Sinne Waidmannsheil!”

Es war gut, daß Gotthold Peetsch hier Schluß machte. Die jungen Herren konnten ihr Entzücken kaum noch bändigen. Der jüngste Lieutenant hielt eine Buche umklammert und vergoß Thränen in fassungsloser Wonne.

Dem jovialen Major von Kleffel dagegen schien die Kritik diesmal denn doch ein wenig zu gewürzt. Er war nicht recht in Stimmung heute — und das aus zwei Gründen: einmal lag ihm der angeschossene Hannes Küstermann auf der Seele. Er sah ihn noch, mit beiden Händen am „Spiegel”, einen wilden Tanz aufführen. Die Sache war, wie man alsbald feststellte, nicht schlimm; aber Hannes Küstermann war dafür bekannt, daß er solche Glücksfälle gehörig auszunutzen wußte — unter 30 Mark pro Schrotkorn that er's nicht. Nun, darüber war schließlich auch noch hinwegzukommen — wenn nur ein einziges Stück Rehwild erlegt worden wäre!

Der Herr Major war jung verheirathet. Seine Gattin, eine reiche Amerikanerin, hatte ihren „dear Major” sehr ungern zur Jagd beurlaubt. Sie gehörten einander, inklusive Hochzeitsreise über das große Wasser, erst acht Wochen an, und in dieser Zeit ist eine Trennung von einem Tage genau eine halbe Ewigkeit; zum andern hielt Lady Maud von Kleffel das edle Waidwerk für ein kulturwidriges Wildwest-Vergnügen, das sich wohl für Texas-Jack oder Buffalo-Bill, nicht aber für ihren „cosy roundish Bob” schickte. Drittens und hauptsächlich: Frau von Kleffel war eifersüchtig. Erst nachdem der Major es mit einer Unzahl von Eiden beschworen, daß kein weibliches Wesen an der Schießerei theilnehme, glaubte sie der weiteren Versicherung des Gemahls, daß zu dem ersten Pecco, welchen sie den Offizieren der Garnison in den nächsten Tagen geben mußten, unbedingt ein Rehbraten gehöre. Der Rehbraten sei unerläßlich bei einer solchen Gelegenheit, er gehöre mit zu den ältesten Traditionen der preußischen Armee, und es würde unliebsames Aufsehen erregen, wenn solche durch eine eigensinnige kleine Frau aus Cincinnati durchbrochen werden würden.

Der Herr Major Robert von Kleffel hätte sich prügeln mögen, daß er die geflunkerten Traditionen nicht mit Hasenbraten in Verbindung gebracht hatte oder mit Kaninchen. Auch Eichkatzen und Krähen waren vorhanden — aber gerade das, worauf es ihm ankam, worauf er sich sozusagen eingeschworen hatte, das fehlte. Und da in diesem Dilemma absolut nur der alte Peetsch helfen konnte, bezwang der Major sein Mißvergnügen und sagte mit lächerlichem Lächeln:

„Mein lieber Peetsch, wir können von Glück sagen, daß Sie nicht unser Brigade-Commandeur sind — eine Manöverkritik von Ihnen müßte ein ganz auserlesener Genuß sein! Aber nun kommen Sie mal, Peetsch — Sie müssen mir einen Gefallen thun — entschuldigen Sie einen Augenblick, meine Herren.”

Damit nahm der Major den Arm des Försters, trat mit ihm bei Seite und trug dem verständnißvoll Lauschenden sein Anliegen vor. Da der Alte sein Möglichstes zu thun versprach, fand Herr von Kleffel sofort seine gute Laune wieder. Die anderen Herren waren eben bei dem üblichen Streit um die Jagdbeute. Aber sie stimmten begeistert und einhellig zu, als der Major erklärte:

„Ich glaube, wir thun gut, meine Herren, das Resultat des heutigen Tages dem Herrn Förster Peetsch zur beliebigen Verwendung zu überlassen. Mit diesen Trophäen können wir keinen Staat machen, kommen wir aber mit ganz leeren Händen nach Hause, so bleibt für gutgläubige Leute unserer lieben Garnisonstadt immer noch die Annahme offen, daß wir mehr geschossen haben, als wir transportiren konnten. Im Uebrigen glaube ich in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich unsern alten Freund Peetsch bitte, heute Abend an unserem Liebesmahl im Kasino theilzunehmen.”

Gotthold Peetsch nahm die Pfeife aus dem Munde, schlug mit dem rechten Schmierstiefel ein paar Mal hinten aus und war anscheinend sehr geschmeichelt — nachdem er aber die Jagdgesellschaft zu ihren Wagen begleitet hatte und diese auf der gefrorenen Chaussee davonrasselten, kraute er sich lange und umständlich unter der Mütze und machte ein außerordentlich nachdenkliches Gesicht.

*           *           *

Lady Maud von Kleffel hing eben in der Einsamkeit ihres Boudoirs allerhand unruhigen Gedanken nach. Sie kam immer wieder darauf zurück, in Cincinnati wäre es ganz unmöglich, daß ein Ehemann von acht Wochen seine junge Frau so lange allein lassen würde. Ueberhaupt dieses Germany — wo sogar der Rehbraten seine Tradition hatte! In Germany hatte überhaupt Alles seine Tradition. Aber damit wollte sie sich schon gern abfinden, wenn nur Bob wieder da wäre. Wie leicht konnte mit den Schießgewehren ein Unglück geschehen — oder — sollte doch vielleicht . . . . .

„Gnädige Frau, draußen ist ein Mann,” meldete in diesem Augenblick das Dienstmädchen, „es kann aber auch ein Herr sein — nur hat er über der Schulter ein Reh und in der Hand einen Blumenstrauß —”

„Ein Reh!” fuhr Frau Maud erfreut auf. „Das ist von meonem Mann! Führen Sie den Herrn in's Wohnzimmer.”

In der nächsten Minute stand der Förster Gotthold Peetsch der kleinen Amerikanerin gegenüber und machte den verbindlichsten Kratzfuß, den er je zu Wege gebracht. Gleich darauf machte er noch einen — und mit diesem überreichte er seine Visitenkarte; denn Gotthold Peetsch wußte, was sich gehörte. Das drückte auch sein äußerer Mensch aus. Die weiße Haartolle glänzte von Pomade und war bis auf den widerspenstigen Krisel angeklatscht wie bei einem eben frisirten Konfirmanden. Der weißbunte Schnauzbart war unternehmend aufgewichst, und die sonhst blindgeschmierten Langschäftigen strahlten in höchstem Perleberger Glanz.

Die Frau Majorin hatte einen Blick auf die Karte geworfen und sagte freundlich:

„Ah — Mister Pietsch, Sie bringen —”

„Peetsch — wenn ich bitten darf, Gotthold Peetsch, Frau Majorin. Ich bringe das Reh, welches der Herr Major — rrrhm — geschossen hat. Jawohl.”

„Ich danke Ihnen sehr, Mister Pietsch.”

„Peetsch —”

„Pätsch,” verbesserte sich die junge Frau etwas ungeduldig, „aber sagen Sie, wo ist mein Mann? Da er die Tradition doch nun geschossen hat, wo bleibt er denn noch?”

Gotthold Peetsch wunderte sich in seiner Seele, daß man in Amerika eine Ricke Tradition nannte, aber er war einer so feinen Dame gegenüber doch zu befangen, um sich bei überseeischen Volkseigenthümlichkeiten noch länger aufhalten zu können.

„Wo der Herr Major sich jetzt aufhält, das weiß ich nicht, Frau Majorin. Ich dachte, der Herr Major wäre zu Hause — ich hätte ihn gern etwas gefragt —”

Frau Maud erhob sich entgeistert.

„Waaa—s! Waren Sie denn nicht mit zur Jagd?” stieß sie hervor.

„Das schon, aber die Jagd ist doch bereits seit vier Stunden zu Ende.”

„Zu Ende! Mister Pietsch —”

„Peetsch, wenn ich bitten darf.”

„Mister Pätsch, ich bitte, ich beschwöre Sie, wo ist mein Mann?”

„Wie gesagt, Frau Majorin, so genau weiß ich das nicht. Wenn der Herr Major nicht zu Hause ist, dann ist nur anzunehmen, daß die Herren direkt zum Liebesmahl gefahren sind . . . . .”

Die junge Frau stieß einen Schrei aus. Dann preßte sie die Händchen gegen den Mund und starrte den Forstmann aus entsetzten Augen an.

„Was sagen Sie, Mister Pietsch! Was haben Sie eben gesagt?” hauchte sie zitternd. „Wo ist mein Mann hingegangen? Oder gefahren? Wo—hin?”

„Au verflucht —” brummte der Alte verlegen in sich hinein, indem er seinen glatten Scheitel kraute und das rechte Auge zukniff. „Als wenn ich mir so was nicht gedacht habe! Das muß doch aber 'nem Christenmenschen gesteckt werden! —”

Gleich darauf hatte er sein inneres Gleichgewicht wieder, gab sich mit einem Ruck Haltung, und da nun doch nichts mehr zu verheimlichen war, erklärte er in schonendstem Tone:

„Ja, Frau Majorin, da mir das doch mal rausgefahren ist — die Herren wollten zum Liebesmahl, und mich haben sie dazu eingeladen. Ich bin nur nie bei so was gewesen, Frau Majorin, wahrhaftigen Gott nicht! Aber ich habe mir gesagt — Peetsch, hab' ich mir gesagt: Du bist ein alter Kerl — viel kann Dir nicht passiren auf so 'nem Liebesmahl. Vielleicht — mit Verlaub zu sagen — 'n Küßchen oder so. Um aber sicher zu gehen, habe ich die Ricke selber gebracht, um der Sicherheit halber den Herrn Major zu fragen, wie man sich bei so einem Liebesmahl verhält . . . . .”

„Mister Pietsch!” rief die junge Frau im Tone und in der Haltung einer zum Aeußersten Entschlossenen. „Sie sind ein Gentleman —”

„Nee, das muß ich doch bitten, Frau Marjorin. Erstens heiße ich Peetsch, und dann habe ich ja eben schon erklärt —”

„Sagen Sie nichts, Mister Pietsch! Sie sind ein Gentleman! Und Sie werden mich auf der Stelle begleiten!”

„Aber Frau Marjorin — ich — ich muß doch zu diesem vertrackten Liebesmahl!”

„Eben deshalb! Ich gehe mit zu das „Love Meal!” Kommen Sie, Mister Pietsch!”

*           *           *

Nachdem Major v. Kleffel den ersten Schreck überwunden und nachdem es sowohl dem Augenschein wie den vereinten Bemühungen der Tafelrunde gelungen war, das Mißverständniß aufzuklären, ließen die verheiratheten Hauptleute ihre Damen holen — und das Kasino des Pionierbataillons hat noch nie ein so fideles Liebesmahl erlebt.

Nur Gotthold Peetsch konnte eine gewisse Enttäuschung nicht überwinden.

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